21.02.2006 - Träume vom Beutelwolf - Teil 5

1864 - auf dem Weg nach Deutschland

Es vergingen sieben lange Jahre, bis ich abermals mein Heim wechseln mußte; dieses Mal war bei den Känguruhgehegen Platz für mich vorgesehen, und so lebte ich für ein Jahr in unmittelbarer Nachbarschaft mit meinen entfernten Verwandten. Mittlerweile war die alte Beutelwölfin gestorben, und neue Artgenossen kamen in den Zoo, direkt aus Tasmanien. Es handelte sich um ein Weibchen mit seinem Jungtier, zwei der Geschwister hatten die Überfahrt nicht überlebt. Das junge Männchen war ausnehmend scheu und sprang beim geringsten Anlaß wie von Sinnen im Käfig umher. Deshalb trennte man es von seiner Mutter, und ich bekam eine Partnerin. Zunächst ließ man uns nicht zueinander; als der Pfleger jedoch sah, daß wir uns nur friedlich beschnüffelten, zog er das Trenngitter, das die Käfige teilte, heraus. Schlagartig änderte das Weibchen sein Verhalten, denn als ich näher kam, sperrte es das Maul weit auf und fauchte mich an. Langsam zog ich mich zurück und legte mich in meiner Schlafecke nieder. Doch schon nach wenigen Tagen hatten wir uns aneinander gewöhnt, und wir schliefen sogar dicht nebeneinander. Auch beim Fressen gab es keine Unstimmigkeiten, der Pfleger hätte uns gar nicht zwei getrennte Portionen zu geben brauchen. Das war eine schöne Zeit; sie erinnerte mich sehr an meine Kindheit ..." Heiner dauerte die entstehende Pause zu lange, und er frug: "Weshalb bist Du denn nicht im Londoner Zoo geblieben und nach Berlin gekommen?" Der Beutelwolf erwiderte: "Wahrscheinlich wollte man Nachwuchs haben, und so ersetzte man mich durch das jüngere Männchen; in dem einen Jahr, das wir zusammen gelebt hatten, war meine Partnerin nicht Mutter geworden.

Es war Anfang Juni des Jahres 1864, als ich wieder in eine Transportkiste gesperrt wurde. Und wieder ging es auf die Reise; Pferdewagen, Eisenbahn und Schiff, - ich hatte alles noch in schlechter Erinnerung. Dieses Mal war die Überfahrt mit dem Schiff jedoch nur kurz. Dann lud man meine Transportkiste in einen Eisenbahnwaggon. Der Gepäckwagen schlingerte so stark, daß ich wie seinerzeit während des Sturms auf dem Schiff hin- und hergeworfen wurde. Nach drei Tagen erreichte ich schließlich Berlin, meinen neuen Bestimmungsort. Ein Pferdewagen holte meine Kiste vom Bahnhof ab, und im zügigen Trab rollte ich durch die Straßen der Stadt hinaus zum Zoo, der damals noch außerhalb lag. Als wir eintrafen, warteten schon viele Menschen darauf, mich zu sehen; schließlich war ich der erste Beutelwolf, der in einen deutschen Zoo kam.
Meine neue Bleibe lag im östlichen Teil des Zoologischen Gartens; durch die Gitterstäbe blickte ich auf einen kleinen Teich, an dessen Ufer Sumpfschildkröten ein Sonnenbad nahmen. Näherte sich ein Mensch, so ließen sie sich mit lautem "Plumps" von einem erhöhten Stein ins Wasser fallen und tauchten hinab zum Grund. Das geschah so regelmäßig, daß ich oft erst durch dieses Geräusch auf das Nahen eines Pflegers oder Zoobesuchers aufmerksam wurde, noch bevor ich ihn wittern oder sehen konnte. Mein Käfig war viel kleiner als der in der Geier-
voliere. Die Anlage lag im Schatten hoher Bäume; während der heißen Nachmittagsstunden empfand ich das als angenehm, gegen Morgen wurde es jedoch recht kühl, und ich verkroch mich in die mit Stroh gepolsterte Schlaf-ecke. Meine Nachbarn waren eine indische Streifenhyäne und ein Jaguar, der aus Südamerika stammte. Während sich die große Katze sehr ruhig verhielt, lief die Hyäne am Gitter stundenlang auf und ab, und ihre Pfoten schlugen laut auf die Bodenbretter: "Tap, tap, tap, tap", nach links, dann verharrte sie für einen Augenblick, und wieder ging es vier Schritte nach rechts. Anfangs störte mich das sehr, doch nach wenigen Tagen hatte ich mich an meine unruhige Nachbarin gewöhnt. Als Nahrung erhielten wir Pferdefleisch; gelegentlich gab es auch hier als besonderen Leckerbissen ein Kaninchen. Außer dem Jaguar, der Hyäne und mir lebten noch ein Leopard und ein Wolf in der Käfiganlage für "reißende Thiere", wie man uns damals nannte.
Einige Wochen nach meiner Ankunft setzte sich ein Mann mit großem Schlapphut vor meinen Käfig und begann mich zu zeichnen. Immer wieder blickte er zu mir, dann senkte er den Kopf, und seine Hand bewegte einen Stift über das Papier. Unvermittelt stand eine hochgewachsene Gestalt mit Vollbart und schwarzem Anzug hinter ihm – ich sah diesen Mann später häufiger im Museum –, schweigend betrachtete er die entstehende Zeichnung, dann deutete er geringschätzig mit dem Kopf zu meinem Käfig und sagte beiläufig: "So ein Tier ist nichts für´s Publikum, das muß tot sein und gehört ins Museum".

Zur Übersicht