14.01.2009 - Träume vom Beutelworf - Teil 8 (15.12.08)

Der vierte Traum: Kindheitserinnerungen

Schließlich kam die vierte Nacht, und wieder träumte Heiner, er sei im Museum – wieder stand er vor dem Präparat des großen Raubbeutlers. "Heute möchte ich Dir etwas über meine Kindheit erzählen", begann dieser unvermittelt. "Das erste, woran ich mich erinnere, ist die große warme Zunge meiner Mutter. Ich war gerade auf die Welt gekommen; zwar konnte ich noch nicht sehen, und Hinterbeine und Schwanz bildeten nur kleine Stummel, doch mit meinen kräftigen Vorderpfoten, die scharfe Krallen trugen, zog und wand ich mich durch Mutters Fell. Dabei bewegte ich suchend den Kopf hin und her und folgte dem Geruch, der dem Beutel entströmte, und der Nahrung und Geborgenheit versprach. Da traf mich die Zunge meiner Mutter, um mich sauberzulecken, so daß ich mich mit allen Kräften am Fell festhalten mußte -; wir Beuteltiere werden nämlich winzig klein geboren", fügte er erklärend hinzu. "Schließlich gelangte ich durch die Öffnung des Beutels in das Innere und fand auch bald die letzte freie Zitze. Drei der Milchspender waren schon von meinen Geschwistern in Besitz genommen worden. Sogleich versuchte ich zu trinken, doch dazu mußte ich meinen Mund über das Zitzenende schieben. Das war recht schwierig, denn mein Körper maß gerade mal einen Zentimeter, und die ganze Zitze war größer als ich. Ein herrliches Gefühl überkam mich, als ich die ersten Züge trank. Völlig erschöpft von diesen Anstrengungen schlief ich bald darauf ein. Stunden später weckten mich starke rhythmische Bewegungen; besorgt, die Zitze zu verlieren, klammerte ich mich mit aller Kraft fest, dennoch, ein kräftiger Stoß und ich konnte mich nur noch mit dem Munde festhalten. Inzwischen hatte nämlich das Zitzen-ende seine Form verändert; es war in meinem Munde knopfartig angeschwollen und konnte nicht mehr herausgleiten. Unvermittelt wurden die Bewegungen sehr viel stärker –, Mutter ging auf Jagd! Danach folgte eine längere Ruhephase, während der sie schlief. Alle paar Stunden fuhr sie mit der Schnauzenspitze in die Beutelöffnung und schob die uns vier Säuglinge bedeckende Haut ein wenig zurück, dann beleckte sie uns ausgiebig und reinigte gleichzeitig unsere Kinderstube. Es vergingen Wochen und Monate; meine Geschwister und ich hatten inzwischen beträchtlich an Größe zugenommen und bereits ein Fell bekommen, wenn es auch noch recht dünn war. Schließlich konnten wir die Augenlider öffnen, und einige Zeit später ließen wir sogar schon mal unsere Zitze los. Im Beutel wurde es ungemütlich eng, obwohl sich dieser stark gedehnt hatte; oft drängten wir alle vier mit den Köpfen zum Ausgang, und ein jeder versuchte, den anderen mit kräftigen Strampelbewegungen fortzuschieben. Was gab es da alles zu bestaunen! Die langen Wedel der Baumfarne reichten bis zum Boden herab, wir sahen hohes Gras, in dem es geheimnisvoll raschelte, und große dunkle Steine in einem Bach. Auch nachts war die Welt erfüllt von unbekannten Geräuschen und Gerüchen, es duftete nach feuchter Erde und würzigem Eukalyptuslaub, und manchmal, wenn Mutters Jagdzüge erfolgreich waren, nach Fell oder Federn und nach Blut. Doch bisher waren wir mit unserer Milchkost voll zufrieden ...

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